Die Krönung
Im Schlosse zu Septsaulx empfängt der Dauphin die Schlüssel
der Stadt Reims. Regnault von Chartres macht sich auf, zum ersten Male von seinem
Bischofssitze Besitz zu nehmen. Am Abend des 16. Juli werden die Truppen an den
Toren der Stadt feierlich empfangen. Die Bewohner lassen ihrer Freude freien Lauf,
und der jahrhundertealte Ruf bei der Weihe des Königs "Noël! Noël! Weihnachten!
Weihnachten!" klingt dem Dauphin jubelnd entgegen. Niemand aber wird ehrfurchtsvoller
begrüßt als Jeanne d'Arc, die Jungfrau, die zur Seite des Königs reitet. Der folgende
Tag wird als Krönungstag angesetzt. Ungeheure Arbeit ist zu leisten. Annähernd 12'000
Mann müssen untergebracht werden, - und dann die Vorbereitungen zum seltenen Feste.
Allenthalben schmückt man die Stadt, holt feierlich die heilige Ampulle, schickt
Eilboten aus, die Würdenträger von der Zeremonie zu benachrichtigen. Wie wird Jeanne
die stille Seele des Ganzen gewesen sein, Dankesjubel gegen Gottes wundersame Führung
im Herzen! Und nun zieht er wirklich herauf, der Tag des Herrn! "Das Geheimnis des
Königs verbergen, ist gut; aber die Werke Gottes zu offenbaren und zu preisen, ist
ehrenvoll." (Tobias 12,7.)
Während nur 20 Kilometer weit entfernt Frankreichs grausame
Feinde Böses sinnen, vollzieht sich nach alter Tradition in der hohen Kathedrale zu
Reims die feierliche Weihe des rechtmäßigen Königs. Dem Gott den Weg hierher bahnte
durch ein Mägdlein, das seinem Willen untertan. Hell erklingen die Silberposaunen.
Es schart sich das Volk um seinen Herrscher. Es stehen die Großen des Reiches um
seinen Thron und neben ihm die Fahne, das Zeichen des himmlischen Königs in der
Hand tragend, die Gottgesandte. Karl VII. aber spricht klar und fest die ehrwürdigen
Eidesworte:
"Im Namen Jesu Christi verspreche ich dem christlichen Volke,
das mir unterworfen ist, diese drei Dinge: Allezeit nach meiner Kraft die Kirche Gottes
und alle Gläubigen im wahren Frieden zu erhalten, - den veschiedenen Ständen des Reiches
Erpressung und Ungerechtigkeit zu untersagen, für die richterlichen Sprüche Gerechtigkeit
und Erbamen zu verordnen, um für mich und alle das Wohlergehen des gütigen Gottes zu
erlangen, der da lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit!"
Und er bekleidet sich mit den königlichen Gewändern. Zum
Ritter schlägt ihn der Herzog von Alençon, der Erzbischof von Reims salbt ihn mit
heiligem Öl aus der Ampulle von Reims und spricht die Worte:
"Ich salbe dich mit diesem heiligen Öl im Namen des Vaters
und des Sohnes und des Heiligen Geistes."
Dann wird er gekrönt und König Karl VII. besteigt den Thron.
Der Erzbischof von Reims ruft aus zu dreien Malen:
"Es lebe der König für immer!"
Das Volk fällt ein: "Noël, Noël!" Die Trompeten erklingen. Jeanne d'Arc, die Jungfrau,
tief im Herzen bewegt, wirft sich vor dem König nieder und redet ihn an:
"Edler König, jetzt ist der Wille Gottes vollbracht, der mir
gebot, die Belagerung Orleans aufzuheben, Sie in die Stadt Reims zu führen, die
heiligen Weihen der Königskrönung zu empfangen, die zeigen, daß Sie der rechtmäßge
König sind, derjenige, dem das Königreich Frankreich gehören soll!"
Die Zeugen der einzigartigen Handlung vergießen Freudentränen.
Ritterschlag, Erhebung in den Grafenstand und andere Zeremonien belohnen die Treue
französischer Untertanen. Ach, daß kein Unwürdiger darunter wäre! Jeanne wird beim
Verlassen der Kathedrale von edlen Frauen von Reims umringt. Der Königin und ihrer
Mutter sendet man am selben Tage noch Freudenbotschaften zu.
Jeanne aber verbringt den Nachmittag mit ihrem geliebten Vater.
Welch selige Stunden werden es gewesen sein! Noch einmal darf sie von Herzen so recht
glücklich sein.
Freudiger Stolz liegt auf den Zügen des lieben väterlichen Antlitzes. War er doch Zeuge
all des Großen, zu dem Gott sein Kind ausersehen! Alles Leid der langen Trennung ist
vergessen, ist verziehen. Der Mutter treue Grüße bringt er mit. Wird das ein Fragen
und Erzählen gewesen sein! Als Fahrtgenossen hat er Durand Laxart mitgenommen, ihn,
der zuerst der Jungfrau glaubte und die ersten Schritte zur Verwirklichung der
Gottesbotschaft tat. Welch schönen Lohn hat sein Vertrauen gefunden! Peter d'Arc,
der Bruder, kommt herüber, so oft es sein Dienst erlaubt. Der König empfängt beide
in Audienz und läßt Jakob d'Arc zum Abschied und Dank Geschenke überbringen.
Treuer, besorgter Vater, Du siehst Dein Kind zum letztenmal!
Verrat!
Verrat zieht um die Lichtgestalt der Gottgesandten seine
verderblichen Netze. Seine Träger sind Trémoïlle, Burgund, die Engländer und zuletzt
ihre französischen Bundesgenossen im noch besetzten Gebiet, vor allem ein vertriebener
Bischof Cauchon, vor allem die erkaufte Universität Paris. Noch weiß die Menge, wissen
die Soldaten nichts von ihren teuflischen Plänen. Der Herrscher ist wankelmütig und
verhindert das Gotteswerk. - Jeanne aber leidet unendliche Seelenqual, daß sie es
nicht zum glorreichen Ende führen kann. Niemals, so will es Trémoïlle, soll die
Jungfrau Paris dem König übergeben. Sein Diplomatenmeisterstück soll es werden.
Der Herzog von Burgund hat ja die Übergabe in Aussicht gestellt. Aber traut er
denn dessen Gesandten, die nach Reims kommen, Waffenstillstand zu erbitten? Traut
er denn den lügnerischen Konferenzen, die doch im Grunde nur da sind, dem Feinde
Vorschub zu leisten? Denn Bedford sammelt Truppen in der Normandie. 5'000 Mann des
Kardinals Winchester, eigentlich zum Kampf gegen die Ungläubigen bestimmt, ziehen
mit diesen nach Paris. Der Herzog von Burgund schickt ein Korps Picarden als
Hilfskräfte.
Trémoïlle aber raunt dem König stichelnd ins Ohr von Jeannes
hochmütigem Geiste, der nur nach eigenem Gutdünken handeln will. Bewußt übergeht er
Jeannes übernatürliche Sendung, aus der heraus sie allein handelt. Wie kann er's denn
weiter ansehen, daß scharenweise die Bevölkerung ihr naht und mit dem Namen des Königs
zugleich den Namen der Jungfrau jauchzend nennt, statt seinen. Er wird schon seinen
Einfluß spielen lassen. Jeanne ist ja fern auf dem Wege nach Paris. Von selbst
erschließen sich ihr die Städte Compiègne, Crepy en Valois, Senlis, Creil, Ponte-Sainte,
Maxence-Choisy, Chantilly. Beauvais vertreibt den Bischof Cauchon, der mehr Politiker
als Kirchenfürst ist. In St. Denis, der alten Königsstadt, erwartet man den Herrscher.
Doch vergebens! Trémoïlle weiß ihn zurückzuhalten. Die Konferenzen von Arras, von
Compiègne sollen schon dem letzten Erfolg der Jungfrau den Riegel vorschieben. Jean
von Luxemburg erbietet Frieden, trügerischen Frieden mit Burgund. Der König läßt
sich täuschen, will selbst auf friedliche Rückgabe der weiteren Städte verzichten.
Warum verläßt denn Bedfort jetzt Reims? Warum läßt er zuvor durch Louis von Luxemburg
die Pariser feierlichen Eidschwur leisten? Seiner Sache treu zu bleiben? War das denn
Frieden? Der sieht anders aus. Jeanne, nicht wissend von dem kläglichen Verrat, wartet
vor Paris. Sie schreitet zur vorbereitenden Tat: läßt über die Seine die Schiffsbrücke
schlagen, Lebensmittel werden beschafft, Soldaten angeworben, Montjoye und Bethemont,
zwei Festungen, die zur Deckung dienen, eingenommen. Das Heer hält sie in strenger Zucht,
- ach, sie zerbricht ihr Gottesschwert an einer Frau von bösen Sitten, die sie
verjagt. -
"Sie wird den König in Paris einführen, wenn er selbst ihr
kein Hindernis bietet", geht's durch das Volk. Der aber folgt dem treulosen Berater.
- Schon erzittert Paris, - eine Bastion ist erobert, - mit schwerer Verwundung kämpft
die Jungfrau weiter. - Da ergeht der Ruf: "Zurück!" Die Führer des Heeres sind trostlos.
"Ich nehme Paris ein oder ich sterbe", wehrt Jeanne dem bösen Rat! Gegen ihren Willen
trägt man sie aus den Reihen. Der Feldzug hat ein Ende. In St. Denis uralte Feierlichkeit
der Könige, - dann Rat auf Rat, das Heer entlassen. 3 Wochen Aufenthalt in Bourges.
Heerführerin des Herzogs d'Alençon soll Jeanne werden. Der Königliche Rat versagt's -
in seinen Diensten soll sie bleiben. 4 Wochen Sully, tiefste Seelennot: Nach Gottes
Gebot soll sie Frankreich befreien; Menschenklüngelei versperrt den Weg. Sie flieht,
findet eine Truppe kampfbereit. In Paris will eine Partei dem rechtmäßigen König die
Tore öffnen. Die Absicht wird entdeckt. Melun steht im Begriffe, sich zu ergeben. Da
wird Jeanne die traurige Offenbarung: "Du wirst gefangen genommen. Nimm alles freudig
auf: Gott wird Dir helfen!" Jeanne will Choisy zu Hilfe eilen. Da stoßen der Erzbischof
Regnault von Chartres und Graf Vendôme zu ihr mit falschem Rat. Wegziel: Soissons! Das
aber war der Jungfrau unfreundlich gesinnt. Die Führer mit einer kleinen Truppe erhalten
Einlaß. Die draußen aber bereden den Gouverneur der Feste und die Königlichen Minister,
Jeannes Fahne zu verlassen. Dies geschieht! Das Herz voll Todesangst setzt sie mit den
wenigen Getreuen ihren Weg nach Compiègne fort. Am Morgen hört sie in der Kirche
St. Jakob die heilige Messe, beichtet und kommuniziert. Dann sucht sie ein verborgen
Plätzchen auf, betet und weint. Als sie aufschaut, gewahrt sie sich unter einer Schar
von Gläubigen. Wohl über 100 Kinder schauen sie mitleidig an. "Meine Kinder, liebe
Freunde, wißt, daß man mich verkauft und verraten hat. Bald werde ich dem Tode überliefert
werden. Ich beschwöre euch, für mich zu Gott zu beten; denn ich werde nimmer Macht
haben, dem König und dem Königreich Frankreich zu dienen."
Am 22. Mai erfährt Jeanne von den Vorbereitungen von Philipp
dem Guten, des Herzogs von Burgund, zur Einnahme von Compiègne. Wehe, Wilhelm von
Flavy, der ehrgeizige und eifersüchtige Gouverneur der Festung, ist den Verrätern
Helfershelfer. Am 23. Mai rät er Jeanne zu einem Ausfall. Im selben Augenblick läuten
die Glocken von Compiègne. Das war ein Zeichen für die Feinde. Heroisch verteidigen
sich die Franzosen gegen Burgunder, gegen die Engländer, gegen die Truppen von Johann
von Luxemburg. Flavy fürchtete eine Wundertat der Jungfrau. Er ließ die Zugbrücke
hochziehen, die Tore schließen, die Artillerie von Compiègne gab keinen Schuß auf
die heranstürmenden Feinde. Die Heldin verteidigte sich tapfer mit 5 oder 6 Mann
gegen die Übermacht. Keine Hilfe naht. Ein Picarde aus der Kompagnie von Lionel
von Wandonne ergreift sie. Mit ihr werden Peter, ihr Bruder, Johann von Aulon, ihr
treuer Waffenmeister, Fr. Paquerel, ihr Beichtvater und Poton le Bourguignon gefangen
genommen. So hat sich auch diese ihre Weissagung erfüllt. Arme Jeanne!
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