Noch einmal das Buch: "Scivias - Wisse die Wege; Eine Schau von Gott
und Mensch in Schöpfung und Zeit"; Hildegard von Bingen;
Walburga Storch; Pattloch Verlag, Augsburg; ISBN 3-629-00594-2
aus Scivias, 3. Teil, 13. Vision:
...Wer daher die geheimnisvollen Worte dieses Buches zurückweist, gegen den spanne ich
(Gott) meinen
Bogen und durchbohre ihn mit den Pfeilen meines Köchers. Seine Krone schleudere ich von
seinem Haupt und werde ihn mit denen vergleichen, die am Horeb fielen, als sie wider mich
murrten. Doch auch wer seine Verwünschungen gegen diese Prophetie ausstößt, über den komme
der Fluch, den Isaak aussprach...
Wer aber diese Worte des Finger Gottes (Hl. Geist) ohne guten Grund verbirgt, sie wütend
verkürzt oder sie wegen einer menschlichen Empfindung an einen unbekannten Ort
beiseiteschafft und so nicht ernst nimmt, der sei verworfen. Und der Finger Gottes wird ihn
zermalmen.
Lobet, lobt also Gott, ihr seligen Herzen in all diesen Wundern, die Gott in der weiblichen
Gestalt der Schönheit des Allerhöchsten geschaffen hat, die er selbst vorausschaute, als sie
zum ersten Mal in der Rippe des Mannes (Eva), den Gott schuf, erschien.
Wer aber scharfe Ohren zum inneren Verständnis besitzt, der lechze in leidenschaftlicher
Liebe zu meinem Abbild nach diesen Worten und schreibe sie ins Gewissen seiner Seele ein.
Amen.
Es beginnt das Buch
Scivias
(1141 - 1151)
(Auszüge)
aufgezeichnet von einem einfachen
Menschen
Es beginnt der I. Teil
des Buches
Ein öffentliches Zeugnis
über wahre von Gott kommende Offenbarungen
zur 2. Vision, I. Teil: Urstand und Versagen der Schöpfung
zur 3. Vision, I. Teil: Gott, Kosmos und Mensch
zur 4. Vision, I. Teil: Der Mensch und sein Lebensweg
zur 5. Vision, I. Teil: Die Synagoge
zur 6. Vision, I. Teil: Die Chöre der Engel
1. Vision, I. Teil
Gott und der Mensch
.....Und plötzlich rief der auf dem Berge Thronende mit lauter, durchdringender Stimme und
sagte: "O du hinfälliger Mensch aus Erdenstaub, Asche aus Asche, verkünde und sprich über
den Zugang zur unvergänglichen Erlösung, damit alle belehrt werden, die den inneren Gehalt
der Schriften kennen, ihn jedoch nicht aussagen und verkünden wollen. Denn sie sind lau
und oberflächlich in der Beobachtung der göttlichen Gerechtigkeit. Erschließe ihnen die
versiegelten Geheimnisse, die sie ängstlich in einem versteckten unfruchtbaren Acker
verbergen.....
Erhebe dich also, rufe und verkünde, was dir kraft mächtigen göttlichen Beistandes offenbart
wird; denn er, der seine ganze Schöpfung gütig und kraftvoll regiert, durchströmt mit dem
Licht himmlischer Erleuchtung, die ihn fürchten und ihm in freudiger Liebe im Geist der
Demut dienen. Und er führt sie zu den Freuden der ewigen Schau, wenn sie auf dem Weg
der Gerechtigkeit ausharren."
1. Über die Stärke und den ewigen Bestand des Gottesreiches
Wie du siehst, bezeichnet deshalb auch dieser große, eisenfarbene Berg
die Stärke und den ewigen Bestand des Gottesreiches; es kann von keinem Einbruch
verderblicher Veränderlichkeit vernichtet werden. Der auf dem Berg Thronende, dessen
Herrlichkeit deine Augen blendet, stellt den Beherrscher des ganzen Erdkreises dar;
im Reich der Seligkeit im Glanz unvergänglichen Lichts leuchtend, ist seine Gottheit
unfaßbar für den Menschengeist......
2. Über die Furcht des Herrn
.....Denn die Furcht des Herrn betrachtet demütig angesichts Gottes das Reich Gottes. Sie
hüllt sich in die durchdringende Schau der guten und gerechten Absicht und bewirkt in den
Menschen Eifer und Beständigkeit..... Denn alles Vergessen der göttlichen Gerechtigkeit, das
die Menschen oft im Überdruß ihres Herzens erfahren, verscheucht sie mit der scharfen
Schneide ihres Blickes, so daß alles menschliche Bemühen nicht imstande ist, ihre
Wachsamkeit zu vereiteln.
3. Von den Armen im Geiste
.....Die Furcht des Herrn umfängt nämlich mit starkem Arm in demütiger Hingabe die Seligkeit
der Armut im Geiste. Sie strebt nicht stolzen Herzens nach Beifall, sondern liebt Einfalt
und geistige Nüchternheit; nicht sich, sondern Gott schreibt sie - wie in ehrfürchtiger
Unterwerfung erbleichend - ihre gerechten Werke zu.....und folgt getreulich den lichten
Spuren des Gottessohnes. Auf ihr Haupt fällt ein solch heller Glanz von dem auf dem Berge
Thronenden, daß du ihr Antlitz nicht anzuschauen vermagst; denn die lichtvolle Heimsuchung
des lobwürdigen Allherrschers flößt eine derartige Kraft und Stärke dieser Seligkeit ein,
daß du ihre Absicht auf schwache menschliche Betrachtungsweise nicht zu fassen vermagst.
Hat doch selbst Er, der himmlischen Reichtum besitzt, sich demütig der Armut unterworfen.
4. Daß die göttlichen Tugendkräfte die Gottesfürchtigen und Armen im Geiste beschützen
.....Vom allmächtigen Gott gehen blitzend unterschiedliche, überaus starke Tugendkräfte aus.
Sie umgeben helfend und schützend die wahrhaft Gottesfürchtigen, welche die Armut im Geiste
getreulich lieben, umfangen sie glühend und gewinnen sie.
5. Daß die Motivationen der Menschen dem allwissenden Gott nicht verborgen sein können
Denn vor der erhabenen Höhe der tiefen und scharfen Erkenntnis Gottes können die Motivationen
der Menschen nicht verheimlicht und verborgen werden. Sie geben selbst ihre Lauheit oder
Lauterkeit zu erkennen; bald erschlaffen Herz und Tun der Menschen und schlummern schmählich,
bald sind sie von Ehrsucht angestachelt.....
6. Was Salomon darüber sagt
.....Schwach und arm machte sich der Mensch, der nicht Gerechtigkeit übt und weder die
Bosheit vernichten, noch Schuld nachlassen wollte; in seinem Müßiggang fehlte es ihm an den
wunderbaren Werken der Seligkeit.....
zur Übersicht der Visionen
2. Vision, I. Teil
Urstand und Versagen der Schöpfung
1. Daß die heiligen Engel sich nicht, durch den Ansturm der Ungerechtigkeit erschreckt, von
der Liebe und vom Lob Gottes abhalten lassen
Wer Gott in gläubiger Hingabe dient und ihn brennend liebt, wie es seiner würdig ist, wird
durch keinen Ansturm der Ungerechtigkeit erschreckt und der himmlischen Seligkeit entrissen.
Wer aber nur vorgibt, daß ihm an Gott etwas liege, dem ist kein Aufstieg zu Höherem
beschieden. Ja, er wird sogar nach gerechtem Urteil dessen beraubt, was er fälschlich zu
besitzen glaubte.....
2. Daß Luzifer im Blick auf seine Schönheit und große Kraft sich stolz erhob und deshalb mit
seinem Anhang aus der himmlischen Herrlichkeit verstoßen wurde
.....
3. Daß Gott ungerecht wäre, hätte er ihn nicht verworfen
Hätte Gott sie nicht in ihrer Anmaßung gedemütigt, wäre er ungerecht; denn er hätte die in
Schutz genommen, welche die ungeteilte Gottheit zerteilen wollten. Doch er verwarf sie und
machte ihre Bosheit zunichte. So beraubt er auch alle der Schau seiner Herrlichkeit, die den
Versuch machen, ihm zu widerstehen.....
5. Von der Hölle, die unersättlich auf den Untergang der Seelen lauert
.....Diese grausamen Qualen warten auf den Teufel und seine Gefolgschaft, die sich vom
höchsten Gut abgewandt haben und es nicht zur Kenntnis nehmen und begreifen wollen; daher
sind sie von allem Guten abgeschnitten worden; nicht weil sie das höchste Gut nicht kannten,
sondern weil sie es in eitlem Stolz verachteten.....
6. Daß die Hölle durch den Sturz des Teufels zustandekam
.....Weil der Teufel mit seiner Gefolgschaft dies aber in stolzer Anmaßung erstrebte, wurde
ihm der See des Verderbens bereitet. Menschen, die sie in ihren Taten nachahmen, bekommen
Anteil an ihren Qualen, wie sie es verdienen.
7. Daß die Hölle den Unbußfertigen bereitet ist, und die übrigen Qualen diejenigen erwarten,
welche der Reinigung bedürfen
.....Die Hölle kommt auf jene zu, die ohne Reue in der Gottvergessenheit leben; die anderen
Qualen jedoch jenen, die zwar Böses verbrachen, aber nicht bis zum Tode darin verharrten,
sondern schließlich in Stoßseufzern zu Gott aufblickten.....
10. Daß der Teufel erst durch die Antwort Evas erfuhr, daß dieser Baum verboten sei
.....Er verführte erst Eva, damit sie Adam schmeichelnd zur Einwilligung überrede. Sie
konnte schneller als jedes andere Geschöpf Adam zum Ungehorsam verführen,.....
11. Was in der Ehe zu beachten und zu meiden ist
.....Darum bleibt die Frau unter der Herrschaft des Mannes.....Daß aber die erste Frau aus
dem Manne gebildet wurde, bezeichnet die eheliche Verbindung zwischen Mann und Frau. Sie ist
so zu verstehen: Diese Verbindung darf nicht fruchtlos und gottvergessen vollzogen
werden;.....Daher muß auch zwischen beiden vollkommene Liebe herrschen wie zwischen den
ersten Menschen.....Sollten die Beiden aber im Streben nach der Ganzhingabe
(an Gott) nicht übereinstimmen, sollen sie sich keinesfalls
voneinander trennen;.....Sie sollen entweder in rechtmäßiger Ehe verbleiben oder, wie es die
Kirche vorschreibt, zusammen enthaltsam leben und sich nicht gegenseitig mit Schlangenbissen
zerfleischen, sondern einander in reiner Liebe zugetan sein.....
13. Warum vor der Menschwerdung des Herrn manche mehrere Frauen hatten
.....Sie hatten nämlich noch nichts von einem öffentlich ergangenen Verbot gehört.....Denn
besser ist es, gemäß kirchlicher Anordnung und Entscheidung, eine rechtmäßige Ehe zu führen
als Unzucht zu verüben. Doch ihr Menschen laßt dies außer Acht und frönt eurer Leidenschaft,
nicht nur auf menschliche, sondern sogar auf tierische Weise. Zwischen den Eheleuten aber
herrsche aufrichtige Treue und reine Liebe in Gotteserkenntnis, damit die göttliche Vergeltung
sie nicht treffe,.....wer sich mit Seufzern der Herzenstreue nach mir ausstreckt und spricht:
"Gegen dich, Herr, habe ich gesündigt", dessen Buße hält mir mein Sohn als Hoherpriester
entgegen. Denn das Bekenntnis, das meinem Sohn zuliebe vor dem Priester abgelegt wird,
gewährt den Büßenden Reinigung von ihren Sünden. Wer aber würdig seine Buße verrichtet,
entgeht den Zähnen des Teufels;.....
.....wer nämlich seinen Samen in Unzucht und Ehebruch vergeudet, erhält auf diese Weise auch
schlecht veranlagte Nachkommenschaft......Mensch, warum wunderst du dich, wenn ich aus
Ehebruch und ähnlichen Vergehen Kinder hervorgehen lasse? Mein Gericht ist gerecht: denn
seit dem Fall Adams finde ich nicht mehr die erforderliche Gerechtigkeit im
Menschengeschlecht. Der Teufel hat sie durch den Genuß des Apfels verscheucht. Deshalb
sandte ich meinen Sohn in die Welt, rein von aller Sünde, von einer Jungfrau geboren. Er
sollte in seinem Blut, das frei war von fleischlicher Befleckung, dem Teufel entreißen, was
dieser dem Menschen geraubt hatte.
14. Warum weder Mensch noch Engel den Menschen befreien konnten, sondern nur Gottes Sohn
Denn weder der in Sünde empfangene Mensch noch der Engel ohne Hülle des Fleisches konnte
den Menschen, der in Schuld darniederlag und sich mit der Last seines Leibes abquälte, der
Gewalt des Teufels entreißen. Er allein, der ohne Sünde erschien und einen reinen, sündelosen
Leib besaß, hat ihn durch sein Leiden befreit. Darum sammle ich die Menschen, wenngleich in
Sünden geboren, in meinem himmlischen Reich, wenn sie es gläubig suchen.....
15. Worte der Weisheit zum selben Thema
.....Adam jedoch hatte Geschmack am Guten, solange er gehorsam war. Doch dann war er
begierig auf das Böse aus und vollbrachte es in seiner Begierde im Ungehorsam gegen Gott.
Warum das so ist, sollst du, Mensch, nicht ergründen. Kein Sterblicher kann auch wissen, was
vor Erschaffung der Welt geschehen ist oder was nach dem Jüngsten Tag sein wird; Gott
allein weiß es. Es sei denn, er lasse seine Erwählten etwas davon wissen.....
16. Daß Blutsverwandte nicht heiraten dürfen
.....
17. Warum im Alten Testament die Ehe zwischen Blutsverwandten gestattet, im Neuen Testament
aber verboten war
.....
24. Empfehlung der Keuschheit
.....
26. Daß Gott nach der Vertreibung Adams das Paradies verschloß
.....
27. Weil der Mensch sich gegen Gott auflehnte, widersetzte sich ihm die Schöpfung, die ihm
früher untertan war
Die Schöpfung, geschaffen zum Dienst des Menschen, hatte keinerlei Widerstand in sich
verspürt; doch als der Mensch sich Ungehorsam anmaßte und Gott nicht gehorchte, verlor
auch sie ihre Ruhe und geriet in Aufruhr. Sie brachte dem Menschen viele und große Nachteile;
weil der Mensch selbst sich dem Schlechteren zugeneigt hatte, sollte er durch sie gestraft
werden.
Was bedeutet das? Weil der Mensch am Ort der Wonne sich Gott widersetzte, lehnte sich die
Schöpfung, die dem Menschen dienstbar gewesen war, gegen ihn auf.
28. Von der Schönheit des Paradieses, das der Erde Saft und Kraft gab, wie die Seele dem
Leib
.....Denn das Paradies wird von keinem Schatten und Verderben der Sünde verfinstert.
29. Warum Gott den Menschen so schuf, daß er sündigen konnte
Deshalb hört und versteht mich, die ihr in eurem Herzen sprecht: Was ist das und warum ist
das so? Ach, warum seid ihr so töricht in euerm Herzen, die ihr nach dem Bild und Gleichnis
Gottes geschaffen seid? Wie könnte eine so große Ehre und Herrlichkeit, wie sie euch
verliehen ist, ohne Erprobung bleiben, als wäre sie ohne Bedeutung und Sinn? Gold muß im
Feuer erprobt und kostbare Edelsteine müssen gereinigt und geschliffen werden und alle
derartigen Stoffe auf alle ihren Eigenschaften untersucht werden. Ihr törichten Menschen,
wie könnte also das, was als Bild und Gleichnis Gottes geschaffen ist, ohne Prüfung
bestehen? Denn der Mensch muß mehr als jedes andere Geschöpf erprobt werden und deshalb durch
die ganze Schöpfung geläutert werden. Fleisch durch Fleisch, Erde durch Wasser, Feuer durch
Kälte, Kampf durch Niederlage, Gutes durch Böses, Schönheit durch Häßlichkeit, Armut durch
Reichtum, Süßigkeit durch Bitternis, Gesundheit durch Krankheit, Langes durch Kurzes, Hartes
durch Weiches, Höhe durch Tiefe, Licht durch Finsternis, Leben durch Tod, das Paradies durch
Leiden, das Himmelreich durch die Hölle, Irdisches mit Irdischem, Himmlisches mit
Himmlischem. So wurde der Mensch durch die ganze Schöpfung geprüft, nämlich im Paradies,
auf Erden und in der Unterwelt; danach wurde er in den Himmel versetzt. Deutlich seht ihr nur
wenige von den vielen Dingen, die euern Augen verborgen sind. Und warum lacht ihr über das,
was recht, verständlich, gerecht und gut vor Gott an allen Gütern ist? Warum seid ihr
unwillig darüber? Gott ist gerecht, doch das Menschengeschlecht ist in der Verachtung der
göttlichen Gebote ungerecht, während es danach strebt, weiser als Gott zu sein.
30. Daß der Mensch das Erhabene nicht erforschen soll, weil er nicht einmal das Niedrige
durchschauen kann
Nun sag mir doch, Mensch: Was bist du nach deiner Meinung gewesen, bevor du Leib und Seele
besaßest? Du weißt ja nicht, wie du selbst geschaffen wurdest; doch jetzt willst du, Mensch,
Himmel und Erde erforschen, über ihren Sinn im Plane Gottes urteilen und das Erhabene
erkennen, da du nicht einmal das Niedrige durchschauen kannst, weil du nicht weißt, wie du im
Leibe lebst oder wie du des Leibes entkleidet wirst. Der dich geschaffen hat im ersten
Menschen, er hat dies alles vorausgesehen. Als gütigster Vater sandte er seinen Sohn, daß er
für das Volk sterbe, um den Menschen aus der Gewalt des Teufels zu befreien.
31. Daß der Mensch jetzt heller leuchtet als vorher im Himmel
.....Der Mensch besitzt nämlich in der Gemeinsamkeit mit Gott im Himmel jetzt eine
strahlendere Herrlichkeit als vorher. Das wäre nicht so, wenn der Menschensohn sich nicht
mit Fleisch umkleidet hätte; denn wäre der Mensch im Paradies geblieben, hätte Gottes Sohn
nicht am Kreuz gelitten. Doch da der Mensch durch die listige Schlange betrogen wurde, wurde
Gott von aufrichtigem Erbarmen gerührt, so daß er beschloß, seinen Eingeborenen in der
reinsten Jungfrau Fleisch annehmen zu lassen. Und so erhoben sich nach dem Fall des Menschen
viele leuchtende Tugendkräfte im Himmel, wie z. B. die Demut, als Königin der Tugenden, die
bei der Jungfrauengeburt erblühte, wie auch die übrigen Tugendkräfte, welche die Erwählten
Gottes zum Himmlischen emporführen. Wenn ein Acker nämlich mit großer Mühe bebaut wird,
bringt er reiche Frucht, wie es am Menschengeschlecht zu sehen ist; denn nach dem Fall des
Menschen erhoben sich viele Tugendkräfte, um ihn wieder aufzurichten. Doch ihr Menschen,
vom Gewicht eures Leibes beschwert, seht nicht die große Herrlichkeit, die euch unversehrt
und ohne Widerspruch in der Fülle der göttlichen Gerechtigkeit bereitet ist, so daß niemand
sie zerstören kann. Bevor der Weltenbau entstanden war, hatte Gott dies alles in wahrer
Gerechtigkeit vorausgeschaut.....
33. Empfehlung der Demut und Liebe, die alle Tugenden strahlend übertreffen
Die Demut bewirkte nämlich die Geburt des Gottessohnes aus der Jungfrau. Nicht in
unersättlicher Umarmung, nicht in leiblicher Schönheit, nicht in irdischem Reichtum, in
goldenem Schmuck oder in weltlicher Ehre erwies sich die Demut. Sondern der Sohn Gottes lag
in der Krippe, weil seine Mutter eine arme Frau war. Seufzt und weint auch die Demut immer,
sie macht allen Lastern ein Ende; das ist ihre Aufgabe. Wer immer also den Teufel besiegen
will, schütze und bewaffne sich mit der Demut; denn Luzifer flieht sie vor allem und verbirgt
sich vor ihr wie eine Schlange in der Höhle; wo sie ihn aber erwischt, zerreißt sie ihn
schnell wie einen morschen Faden. Die Liebe ergriff den einzigen Sohn Gottes im Schoß des
himmlischen Vaters und legte ihn in den Schoß der irdischen Mutter, denn sie verachtete weder
Sünder noch Zöllner, sondern erstrebte die Erlösung aller. Deshalb entlockt sie auch oft in
den Augen der Gläubigen einen Tränenquell und erweicht ihre Hartherzigkeit. Dadurch
erstrahlen Demut und Liebe mehr als die anderen Tugenden. Denn Demut und Liebe sind wie
Seele und Leib, die zusammen mehr Gewalt besitzen als die übrigen Kräfte der Seele und die
Glieder des Leibes. Wie ist das zu erklären? Die Demut ist gleichsam die Seele und die Liebe
wie der Leib; sie können nicht voneinander getrennt werden, sondern arbeiten zusammen, wie
auch Seele und Leib verbunden bleiben und miteinander wirken, solange der Mensch im Körper
lebt. Und wie die verschiedenen Glieder des Leibes - gemäß ihrer Kraft - von Seele und Leib
abhängig sind, so leisten auch die übrigen Tugendkräfte ihren gerechten Beitrag zugunsten der
Demut und der Liebe. Deshalb, ihr Menschen, bemüht euch zur Ehre Gottes und zu euerm Heil um
Demut und Liebe. So ausgerüstet werdet ihr die Nachstellungen des Teufels nicht zu fürchten
brauchen, sondern unvergängliches Leben besitzen.
zur Übersicht der Visionen
3. Vision, I. Teil
Gott, Kosmos und Mensch
1. Daß durch das Sichtbare und Vergängliche das Unsichtbare und Ewige
offenbart wird
Gott, der alles durch seinen Willen ins Dasein rief, hat es erschaffen, damit sein Name
erkannt und verehrt werde. Nicht nur das Sichtbare und Vergängliche tut er damit kund,
sondern offenbart darin auch das Unsichtbare und Ewige.
2. Von der eiförmigen Gestalt des Weltalls und ihrer Bedeutung
Denn dieses dunkle Gebilde wie ein Ei, oben spitz zulaufend, in der Mitte breiter und
unten sich wieder verengend, bedeutet für den Glauben den allmächtigen
Gott, unfaßbar in seiner Majestät, unvergleichbar in seinen Geheimnissen und die
Hoffnung aller Gläubigen; denn im Anfang waren die Menschen ungebildet und schlicht
in ihrem Tun; später aber, im Alten und Neuen Testament, breiteten sie sich aus,
und gegen Ende der Welt werden sie schließlich in ihrer Enge viele Drangsale erleiden.
3. Vom leuchtenden Feuer und der dunklen Haut und ihrer Bedeutung
Die äußerste Schicht besteht rundum aus leuchtendem Feuer und darunter liegt etwas wie
eine dunkle Haut. Das deutet an, daß Gott die Menschen, die außerhalb des wahren
Glaubens leben, überall mit seinem vergeltenden Feuer quält, diejenigen aber, die
im katholischen Glauben ausharren allerorts im Feuer seiner Tröstung läutert. So
vernichtet er die Finsternis der satanischen Bosheit, wie es auch geschah, als der
von Gott erschaffene Teufel besiegt ins Verderben stürzte, als er sich Gott
entgegenzustellen versuchte.
4. Vom Stand der Sonne und der drei Planeten und seiner Bedeutung
.....Sie verherrlichen ihn (den Sohn Gottes), wenn sie seinem Licht
folgen, allen schädlichen Irrtum von sich werfen und ihn als den wahren Gottessohn, der
aus einer wahren Jungfrau Mensch geworden ist, preisen.....
5. Vom Aufgang der Sonne und seiner Bedeutung
Deshalb steigt der Ball manchmal empor und flammendes Feuer tritt ihm entgegen, so daß
seine Flammen weiter hinausschlagen. Das bedeutet: Als die Zeit kam, da der Eingeborene
Gottes zur Erlösung und Aufrichtung des Menschengeschlechtes nach väterlichem Willen
Mensch werden sollte, wirkte der Heilige Geist in der Kraft des Vaters auf wunderbare,
übernatürliche und geheimnisvolle Weise in der seligen Jungfrau. So stand die
Jungfräulichkeit ruhmreich da, weil sie dem Sohn Gottes in jungfräulicher Keuschheit
und Fruchtbarkeit wunderbaren Glanz verlieh; denn durch die edle Jungfrau verwirklichte
sich die heißersehnte Menschwerdung.
6. Vom Untergang der Sonne und seiner Bedeutung
Und so neigt er sich auch zuweilen abwärts und eine große Kälte schlägt ihm entgegen, so
daß er schnell seine Flammen zurückholt. Das veranschaulicht daß der Sohn Gottes,
aus der Jungfrau geboren, sich so gütig zur Armut der Menschen hinabneigte, daß ihm großes
Elend begegnete und er viel körperliche Not erfuhr. Als er sich der Welt leibhaft
gezeigt hatte, kehrte er in Gegenwart seiner Jünger von der Welt zum Vater zurück,
wie geschrieben steht.
7. Worte der Apostelgeschichte dazu
.....
8. Vom ersten Wind, seinen Stürmen und ihrer Bedeutung
.....
9. Vom zweiten Wind, seinen Stürmen und ihrer Bedeutung
.....
10. Vom düsteren Feuer, dem Donner und dem Hagel von spitzen Steinen
und ihrer Bedeutung
.....
11. Von der ganz reinen Luft, vom Stand des Mondes und der zwei Planeten
und ihrer Bedeutung
.....Und über ihm sind deutlich zwei Fackeln in der Höhe angeordnet; sie halten den Ball,
damit er seine Laufbahn nicht überschreite: Dadurch wird veranschaulicht, daß die beiden
von oben erlassenen Testamente - nämlich altes und neues - die Kirche zu den göttlichen
Vorschriften der himmlischen Geheimnisse hinziehen. Sie halten
die Kirche nämlich zurück, damit sie nicht Hals über Kopf in die Unbeständigkeit
der verschiedenen Sitten stürzt. Denn alte und neue Zeugnisse zeigen ihr die Seligkeit
des himmlischen Erbes.
12. Vom Stand der Gestirne und seiner Bedeutung
.....In der Reinheit des Glaubens erscheinen nämlich überall viele strahlende Werke der
Frömmigkeit, in denen die Kirche, während sie zur selben Zeit vorübergehend die
Mißachtung ihrer Lehre erduldete, die Schönheit ihrer Wunder überliefert. Während
sie gleichsam trauernd darniederliegt, bewundert sie doch die herrlichen Werke der
Vollkommenen, die sie mit Hilfe anderer vollbringen.....Denn von Vernichtung bedroht,
flüchtet sie unter den Schutz des Eingeborenen Gottes. Von ihm erhält sie in göttlicher
Stärkung Geduld und beweist so in seligen Werken ihre Liebe zum Himmlischen.
.....
18. Vom Erdbeben und seiner Bedeutung
Doch wenn die Elemente zuweilen, wie du siehst, mit den Winden zusammenstoßen, bringen
sie manchmal durch ihren Zusammenprall auch die Kugel ein wenig in Bewegung. Wenn sich
nämlich zu gegebener Zeit die Geschöpfe Gottes und die Kunde von den Wundern ihres
Schöpfers begegnen, so daß beim Ertönen des Wortes ein
Wunder dem andern folgt, erfährt der Mensch, von der Größe dieser Wunder betroffen,
eine geistig-leibliche Erschütterung; denn er erwägt, in Bestürzung über dieses Wunder,
die Schwäche seiner Gebrechlichkeit.
19. Vom hohen Berg zwischen Norden und Osten und seiner Bedeutung
.....denn die Werke des Lichts vereinigen sich nicht mit den Werken der
Finsternis und die Werke der Finsternis erheben sich nicht zu den Werken des Lichts,
obwohl sich der Teufel so und so oft bemüht, sie durch böse Menschen zu verdunkeln.
So geschieht es durch Heiden, Irrlehrer und falsche Propheten und alle, die sie durch
betrügerische Täuschung nach sich zu ziehen versuchen. Auf welche Weise? Weil sie Dinge
wissen wollen, die sie nicht wissen sollen, ahmen sie den nach, der darauf aus war,
dem Höchsten gleich zu sein. Und weil sie ihm folgen, stellt er ihnen die Lüge als
die von ihnen erstrebte Wahrheit dar.....Sie erforschen, was ihnen die vernunftlose
Kreatur über künftige Geschicke trügerisch offenbart.
20. Von denen, die durch ein übles Handwerk mittels der Geschöpfe die Zukunft erforschen
Warum, o Mensch, verehrst du das Geschöpf, das dich weder trösten noch dir helfen kann
und dir kein gedeihliches Glück verschafft, wie die Sterndeuter
zu beteuern pflegen, die einem die Todesstunde verkünden
und die Heiden im Unglauben nachahmen. Sie sagen nämlich, daß die Sterne euch Menschen
das Leben zuteilen und alle eure Handlungen bestimmen. Ihr Unglücklichen, wer hat
die Gestirne gemacht?! Manchmal jedoch deuten sie mit meiner Erlaubnis den Menschen mit
ihren Zeichen etwas an, wie es auch mein Sohn im Evangelium zeigt und sagt:
21. Worte aus dem Evangelium
„Es werden Zeichen sein an Sonne, Mond und Sternen"(Lk 21,25).....Deshalb werden auch
in der Endzeit mit meinem Zugeständnis beklagenswerte
und gefahrvolle Zeiten an ihnen erkennbar. Das Strahlen der Sonne,
der Glanz des Mondes und das helle Funkeln der Sterne wird einmal nachlassen, damit
das Herz der Menschen dadurch erschüttert werde. So wurde auch nach meinem Willen
durch einen Stern die Menschwerdung meines Sohnes angezeigt.....Er brachte meinem Sohn nur
den einen Vorteil, daß er meinem Volk seine Menschwerdung getreulich verkündete; denn alle
Gestirne und Geschöpfe erfüllen in Gottesfurcht nur meinen Auftrag; sie
haben aber keinerlei Kenntnis von den Angelegenheiten einer anderen Kreatur. Wenn es
mir nämlich so gefällt, zeigen die Geschöpfe meinen Auftrag an. Wie der Handwerker beim
Herstellen einer Münze ihr die angemessene Prägung gibt, so hat diese Münze die ihr
gegebene Gestalt. Sie hat aber keinen Einfluß darauf und weiß nicht, ob der Handwerker
ihr eine ändere Prägung geben will, denn sie unterscheidet nicht die Länge der Zeit für
ihre Gestaltung.....Und wenn du auf dieses zu deinem Dienst geschaffene Geschöpf vertraust,
während du mich verwirfst, so werde ich dich nach meinem gerechten Gericht von meinem
Angesicht verbannen und dir die Seligkeit meines Reiches nehmen.....
O Mensch, wo warst du, als die Gestirne und die übrigen Geschöpfe entstanden? Hast du etwa
Gott beraten, als sie gebildet wurden? Doch die Anmaßung einer derartigen Befragung ging
von der ersten Spaltung aus; die Menschen überließen Gott nämlich so der Vergessenheit,
daß ein Volk ums andere in seinem Hochmut die verschiedenen Geschöpfe
zu Rat zog und in ihnen Zukunftswinke suchte. So entstand auch die Irrlehre über Baal.
Die Menschen wurden nämlich dazu verführt, Gottes Schöpfung als Gott zu verehren. Dazu
trieb sie auch der Spott des Teufels an, weil sie mehr auf die Kreatur als auf den
Schöpfer blickten und das wissen wollten, was sie nicht wissen sollten.
22. Wie der Teufel durch magische Künste mit den Menschen sein Spiel treibt
.....
23. Ein Gleichnis darüber
.....Durch die Heilige Schrift begegnen ihnen zwar oft ihre Lehrer gleichsam als Freunde,
halten ihnen ihre Taten vor und lassen laut ihre Frage ertönen, warum sie den Trugbildern
des Teufels folgen und sich die göttliche Vergeltung zuziehen. Doch meistens spotten sie
ihrer Ermahnungen und beteuern, sie sündigten nur wenig und würden ihren Gott keineswegs
durch Stolz beleidigen. Weil sie in dieser Verhärtung bleiben, empfangen sie den
göttlichen Urteilsspruch. Denn diesen hervortretenden Dienern der Bosheit wird
vorgeworfen, weshalb sie die himmlische Gabe der Einsicht erstickt und lieber die
Betrügereien des alten Verführers angenommen haben, als ihren Schöpfer, dem sie eifrig
dienen sollten, zu lieben. Durch den Spott des Teufels werden sie nun selbst gemäß
ihren Werken für verächtlich gehalten, weil sie Gott nicht dienen wollten und sind
gezwungen, zu erwägen, was ihnen die boshafte Täuschung eingebracht hat. Die
Verworfenen ereilt nämlich auf diese Weise die Verdammung, weil sie die göttlichen
Gebote hintansetzten und mehr danach strebten, dem Teufel zu folgen, als Gott.....
24. Wenn das Heil des Menschen und sein Daseinszweck erfüllt sind, wird er die Welt
verlassen
.....Keiner von euch kann seine Lebenszeit kennen, sie aussparen oder
überspringen. Seine Lebensspanne ist von mir bemessen. Denn wenn dein
leibliches und geistiges Heil erreicht ist, wirst du, o Mensch, die gegenwärtige Zeit
eintauschen und zu jener übergehen, die unbegrenzt ist.....Ich will aber dem
Menschengeschlecht alle Gerechtigkeit zu seinem Schutz verleihen,
damit kein Mensch sich entschuldigen kann, wenn ich die Menschen mahne und ermuntere,
Gerechtigkeit zu üben, da ich das Todesurteil über sie verhänge, als müßten sie schon
sterben und doch länger am Leben bleiben sollen; niemand kann nämlich aus sich selbst
leben und über seine Lebensdauer verfügen. Nur ich gewähre sie ihm nach meinem Willen,
je nach dem Nutzen, den ich für den Menschen darin wahrnehme.....
25. Worte Jobs zum selben Thema
„Du hast ihm unüberschreitbare Grenzen gesetzt" (Jb 14,5). Das heißt: Du stehst über
allen und
siehst alles voraus, bevor es geschieht; du hast auch im Geheimnis deiner Majestät die
Begrenzung des menschlichen Lebens beschlossen, so daß weder Einsicht, Klugheit oder
Schlauheit irgendeines Wesens sie sinnvoll hinauszuschieben vermag,
in der Kindheit, noch in der Jugend oder im Alter des Menschen, wenn du, als Schöpfer
des Menschen, es nicht in der Vorsehung deiner Ratschlüsse zur Ehre deines Namens so
beschlossen hast.
26. Gottes Wort zum Thema
Denn schon seit Erschaffung der Welt kenne ich dich, o Mensch. Dennoch will ich deine
Tage in Bezug auf deine Taten betrachten, ihren Nutzen beurteilen und deine Werke
sorgfältig und sehr genau prüfen. Wen ich aber plötzlich aus diesem vergänglichen
Leben abberufe, dessen Lebenssinn ist erfüllt; würde sein Leben auch weiter verlängert,
hätte er doch keine Lebenskraft mehr zum Hervorbringen guter Früchte,
sondern würde in der Erschlaffung der natürlichen Glaubenskraft nur den Dunst
leerklingender Worte von sich geben und mich nicht mit innerster Herzensbewegung
berühren.....
27. Daß Gott Wahrsagerei durch Gestirne und andere Geschöpfe nicht länger duldet
.....Ich aber erstrahle über der ganzen Schöpfung im Glanz meiner Gottheit, so daß
meine Wunder an meinen Heiligen offenbar werden; deshalb will ich nicht, daß du
diesen Aberglauben in der Wahrsagerei betätigst, sondern daß du zu mir aufblickst.
28. Von der menschlichen Torheit und Widerspenstigkeit
.....
29. Gleichnis vom Ziegenbock, Hirsch und Wolf
Doch in großer Torheit willst du mich ergreifen, indem du mich auf folgende Weise
bedrohst: „Wenn es Gott gefällt, daß ich gerecht und gut bin, warum macht er mich
dann nicht so"? Du willst mich damit so fangen, wie ein übermütiger Bock
einen Hirsch anfällt. Er wird vom mächtigen Geweih des Hirsches gestoßen und durchbohrt.
Wenn du in deinem Wandel mutwillig mit mir dein Spiel treibst, werde auch ich dich mit
den Vorschriften meines Gesetzes wie mit Hörnern in gerechtem Gericht zunichtemachen.....
30. Vergleich mit dem Arzt
Denn wenn du mehr wissen willst als dir zukommt, wirst du vom alten Verführer getäuscht.
Als der erste Mensch mehr zu erfahren suchte als er erfahren sollte, wurde er von ihm
betrogen und ging ins Verderben. Der Teufel wußte jedoch nichts von der Erlösung des
Menschen, durch die der Sohn Gottes den Tod tötete und die Hölle überwand. Im Anfang
besiegte nämlich der Teufel den Menschen durch eine Frau; doch Gott zerschmetterte am
Ende der Zeit den Teufel durch die Frau, die den Sohn Gottes gebar.
31. Worte des Johannes
.....
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4. Vision, I. Teil
Der Mensch und sein Lebensweg
.....
4. Die Klage der Seele, die mit Gottes Hilfe den teuflischen Beunruhigungen tapfer
widersteht
Ich bin der lebendige Hauch im Menschen, der so in das Zelt von Mark und Adern, Knochen
und Fleisch eingesenkt ist, daß ich diesem Zelt Lebenskraft verleihe und es
zu all seinen Bewegungen antreibe. Aber o weh, seine Empfindsamkeit bringt Verunreinigung,
Ausschweifung, keckes Gebaren und jede Art von Lastern hervor. Ach, wie beklage ich das
mit schwerem Seufzen! Denn wenn ich auch ein glückliches Leben bei den Verrichtungen
in meinem Zelt führe, so begegnet mir doch eine teuflische Einflüsterung, fängt mich bei
allem und läßt die Aufgeblasenheit des Hochmuts in mir aufkommen, so daß ich immer
wieder sage: „Ich will wirken, wie es der irdischen Grünkraft schmeckt.".....
5. Von den Unruhen, welche die teuflische Überredungskunst stiftet
.....den allerreinsten Gott aber vernachlässige ich im Rausch meiner Schuld.....
6. Wodurch diese Verblendung verursacht wird
.....Durch folgendes: Die alte Schlange ist voller Schlauheit und betrügerischer List,
voll vom tödlichen Gift der Bosheit. Denn in ihrer Schlauheit flößt sie mir die trotzige
Verwegenheit zum Sündigen ein und zieht meine Erkenntnis von der Furcht des Herrn ab, so
daß ich nicht davor zurückschrecke, zu sündigen, indem ich sage: „Wer ist Gott? Ich
weiß nicht, wer Gott ist!" In ihrer trügerischen List jedoch verleitet sie mich zur
Verstocktheit, so daß ich im Bösen verhärte. Durch das tödliche Gift der Bosheit aber
raubt sie mir die geistige Freude, so daß ich mich weder am Menschen noch an Gott
zu freuen vermag. So führt sie mich in den Zwiespalt der Verzweiflung: ich
zweifle nämlich, ob ich gerettet werden kann oder nicht.....
7. Wie Zorn, Haß und Stolz bezähmt werden
.....Und so erkenne ich am erhabenen Gott das anziehendste Gut, die Demut.....
Und so wehre ich auch die übrigen Laster mit dem starken Schild der Demut ab.
8. Die Klage der Seele, die zitternd ihr Zelt verläßt
.....Und sie sagte: „Ich werde aus meinem Zelt ausziehen. Aber ich Unglückliche voller
Trauer, wohin soll ich gehen? Schreckliche und furchtbare Pfade führen mich zum
Gericht, wo über mich der Urteilsspruch gefällt wird. Dort will ich die Werke, die
ich in meinem Zelt verrichtet habe, vorzeigen und dort wird mir nach meinen Verdiensten
vergolten. O, wieviel Angst und Not wird mich da befallen!".....
Und wieder hörte ich eine Stimme vom Himmel zu mir sagen: „Die selige, unaussprechliche
Dreifaltigkeit hat sich der Welt offenbart, als der Vater seinen Eingeborenen, vom
Heiligen Geist empfangen und aus der Jungfrau geboren, in die Welt sandte, damit
die Menschen, die sehr verschieden veranlagt geboren wurden und mit vielen Sünden
beladen sind, durch ihn auf den Weg der Wahrheit zurückgeführt werden. Von den Fesseln des
Körpergewichts befreit, werden sie gute und heilige Werke mit sich führen und die Freude des
himmlischen Erbes erlangen."
9. Daß das Erkennen Gottes von keiner geschöpflichen Verdunkelung umwölkt wird
.....So wird in dem Erkennen Gottes von Gut und Böse gezeigt, daß es von keiner
geschöpflichen Verfinsterung umwölkt wird. Doch du, o Mensch, sagst: Was soll der
Mensch tun, wenn Gott alles vorherweiß, was der Mensch tun wird?" Ich aber, o Mensch,
sage dir:
10. Daß in der Vortrefflichkeit der göttlichen Gerechtigkeit keine Ungerechtigkeit
zu finden ist
.....Wenn du dich hochmütig aufblähst, willst du dich über die Sterne, andere Kreaturen
und Engel erheben, die stets die Gebote Gottes erfüllen. Doch du
kommst zu Fall, wie auch jener fiel, der die Lüge gegen die Wahrheit stellte. Er
liebte nämlich die Lüge, verfing sich deshalb im Tod und stürzte in den Abgrund.
Darum, o Mensch, sei auf der Hut!.....Doch das Urteil Gottes ist wahr und gerecht. Was
hat es darum für einen Sinn, o Mensch, wenn du dir über mein Urteil den Kopf zerbrichst?
.....
Was nützte es aber dem Teufel, daß er sich gegen mich stellte? Als er sah, daß er große
Herrlichkeit besaß, wollte er sich über alle erheben. Eine unzählbare Schar stolzer
Geister stimmte ihm bei; sie alle verstieß die göttliche Macht im rechten Eifer
zusammen mit ihm. So werden auch alle verworfen, die durch ihr Beharren im Bösen
die Gerechtigkeit Gottes hintanzusetzen versuchen. Denn sie bemühen sich, das
höchste Gut in schlimme Bosheit zu verkehren.
Deshalb hat Gott niemals etwas Ungerechtes beschlossen, sondern alles, was recht
ist, in gleichbleibender Güte angeordnet.
11. Von den Götzenbildern und daß sie aufgegeben werden müssen
Doch auch die Menschen, die in ihrem Unglauben Gott verwarfen und sich Götzenbilder
anfertigten, in die der Teufel fuhr und durch sie mit ihnen sein Spiel trieb, erhoben
sich im Leichtsinn dieser Nichtigkeit.....
12. Der Prophet Ezechiel darüber
.....Ihr, die ihr auf den Wegen der Sonne (der Gerechtigkeit), die die glückseligen
Schafe laufen, die rechte Richtung einhalten wollt,
verbannt aus dem Bewußtsein eures Herzens die Erforschung der verborgenen Dinge,
die der königlichen Weisheit nichts nutzen. Denn ihr wolltet euch auf ihnen zu
eitler Höhe erheben, während ihr in einem tiefen See untergetaucht seid, in dem
keine Ehrenhaftigkeit wohnt, sondern jene schreckliche Ausschweifung, die Gott
nicht kennt.....
.....
14. Worte des Moses zum selben Thema (Verschiedenheit der Menschen)
.....Das heißt: Ich, der ich bin, ohne Anfang und Ende, vernichte die schändlichen
Menschen bei ihrem Tun.....Denn ich, der ich von keiner Dunkelheit verdrängt werde,
erhalte sie oft in anderer Hinsicht wunderbar am Leben, wenn ich ihren lebendigen
Lebenshauch von der Erde nach oben ziehe, damit er in ihnen nicht zugrundegehe.....
Doch bei all dem gibt es keinen Menschen noch ein anderes Geschöpf, die meine
derartigen Taten durch List oder Trotz vereiteln könnten; denn niemand vermag meinem
Willen und meiner Gerechtigkeit zu widerstehen.
15. Warum Lahme und Verwachsene geboren werden
Sehr oft siehst du auch, daß dort, wo die Vereinigung von Mann und Frau in
Gottvergessenheit unter dem Hohnlachen des Teufels vollzogen wird, unter den Nachkommen
der Menschen Lahme zu finden sind, damit die Eltern, die meine Gebote übertreten haben,
in ihren Kindern gestraft, reuig zu mir zurückkehren.....
Diejenigen aber, welche sich das Gesetz auferlegen, die Tugend der Jungfräulichkeit
anzustreben, steigen
wie die Morgenröte zu den himmlischen Geheimnissen empor, weil sie sich aus Liebe
zu meinem Sohn von der Lust des Leibes trennen.
16. Wie das Kind im Mutterschoß lebendig wird und, wenn es ihn verläßt, von der Seele
gefestigt und unterstützt wird
.....Die Seele glüht im Feuer tiefer Einsicht und unterscheidet die verschiedenen
Dinge im Bereich ihrer Fassungskraft. Sie hat nicht die Gestalt menschlicher Glieder,
denn sie ist nicht körperlich und hinfällig wie der menschliche Leib; sie stärkt
das Herz des Menschen,.....Sie verkostet mit ihren Kräften nicht nur das Irdische,
sondern auch das Himmlische, da sie Gott weise erkennt;.....Nach den Werken, welche
die Seele gemeinsam mit dem Leib vollbringt, richten sich seine Verdienste; denn
durch die guten erwirbt er sich Herrlichkeit, mit den schlechten Finsternis.
17. Wie die Seele gemäß den Körperkräften ihre Fähigkeiten offenbart
.....In der Kindheit des Menschen bringt sie Einfalt hervor, in der Jugend Stärke und
im Erwachsenenalter, wenn die Adern des Menschen gefüllt sind, zeigt sie hre stärksten
Kräfte in der Weisheit.....Später jedoch, im Greisenalter des Menschen, wenn sein Mark
und seine Adern sich der Gebrechlichkeit zuneigen, zeigt die Seele ihre Kraft in
Gelassenheit, gleichsam aus Überdruß an menschlichem Wissen.....
18. Daß der Mensch drei Wege in sich trägt
Drei Wege trägt der Mensch in sich. Welche? Seele, Leib und Sinne. Auf Ihnen
läuft das menschliche Leben ab.....Die Seele verleiht nämlich dem Leib das Leben,
wie das Feuer der Finsternis Licht spendet. Sie besitzt — wie zwei Arme — zwei
Hauptkräfte, nämlich Verstand und Willen.....
19. Vom Verstand
.....so geht auch der Verstand — mit der Betätigung der übrigen Seelenkräfte,
durch die er die einzelnen Werke des Menschen erkennt — unzweifelhaft von der Seele aus
.....
20. Vom Willen
.....Und wie der Leib ein Herz besitzt, so hat die Seele den Verstand. In einem
Teil der Seele übt er seine Kraft aus wie der Wille im andern. Auf welche Weise?
Der Wille nämlich besitzt große Gewalt in der Seele.....; denn der Wille wirkt jedes Werk,
ob gut oder böse.
21. Gleichnis vom Feuer und Brot
.....das Werk des Willens aber dauert bis zur Trennung seiner Seele vom Leib.
Und ist das Werk in der Kindheit, in der Jugend, im Vollalter und im Greisenalter
auch von sehr verschiedener Beschaffenheit, so schreitet es doch im Willen voran und
zeigt in ihm seine Vollendung.
22. Wie sich im Zelt des Willens, d. h. im Gemüt, alle Seelenkräfte erwärmen und
miteinander verbinden
.....
23. Von der Vernunft
Im Verstand aber und im Willen ertönt gleichsam als Stimme der Seele die Vernunft.....
denn die Seele wohnt im Leib und wirkt mit dem Leib, und der Leib mit ihr, Gutes oder Böses.
24. Vom Empfindungsvermögen
..... Das Gesetz ist zum Heil des Menschen aufgestellt und die Propheten künden die
Geheimnisse Gottes; so hält auch das Empfindungsvermögen des Menschen
alles Schädliche von Ihm fern und enthüllt das Innere der Seele.....Doch wie das Gefäß
sichtbar ist und man um den Schatz darin weiß, so erkennt man auch am Empfindungsvermögen
die übrigen Seelenkräfte.
25. Daß die Seele Herrin, das Fleisch aber Magd ist
.....Wieso? Die Seele belebt und beherrscht den Leib, der Leib aber überläßt sich
ihrer belebenden Führung; denn wenn die Seele den Leib
nicht beleben würde, würde der Körper sich auflösen und vergehen. Wenn aber der
Mensch bewußt ein schlechtes Werk vollbringt, so ist das bitter für die Seele
wie ein bewußt eingenommenes Gift für den Leib. Über ein gutes Werk aber freut
sich die Seele wie sich der Leib an süßer Speise ergötzt.....Die Barmherzigkeit der
göttlichen Gnade erleuchtet den Menschen wie die Sonne, der Hauch des Heiligen Geistes
betaut ihn wie Regen, und so bewirkt die Maßhaltung in ihm wie wohlausgewogenes Wetter
die Erzeugung reifer guter Früchte.
26. Der Vergleich von Baum und Seele
.....Darum, o Mensch, erkenne, was du durch deine Seele bist, der du die gute Einsicht
verwirfst und dich mit den Tieren gleichstellen möchtest.
27. Daß die zur Sünde neigende Seele in gottgeschenkter Zerknirschung die Sünde läßt
.....
28. Daß die von teuflischen Nachstellungen versuchte Seele auf himmlische
Eingebung die Geschosse des Satans abwehrt
.....
29. Daß die Seele beim Verlassen der Wohnung ihres Leibes mit großer Furcht den
Urteilsspruch des gerechten Richters erwartet
Daß du aber siehst, wie eine andere Kugel sich von den Umrissen ihrer Gestalt absetzt
und ihre Fesseln löst, bedeutet: die Seele verläßt die Glieder ihres leiblichen Zeltes
und reißt die Verbindung mit ihnen ab, da die Zeit der Auflösung ihrer Wohnung bevorsteht;
und sie befreit sich seufzend und zerstört trauernd ihren Wohnsitz; denn sie verläßt
in Bedrängnis ihren Leib und überläßt ihre Wohnstätte heftig zitternd dem Verfall;
sie fürchtet sich vor dem bevorstehenden gerechten Gericht Gottes, weil sie dann den Lohn
für ihre Werke durch den gerechten Urteilsspruch Gottes zu spüren bekommt.....
Sie achten nämlich auf den Urteilsspruch des gerechten Richters, wenn diese Seele sich
vom Leib trennt, um sie, vom Leib getrennt, dorthin zu führen, wohin der himmlische
Richter nach dem Verdienst ihrer Werke beschlossen hat, wie es dir, o Mensch, vorher
angezeigt wurde.
30. Gottes (mahnende) Worte an die Menschen, den göttlichen Geboten zu gehorchen,
das Böse zu verwerfen und das Gute aus Liebe zu Gott getreulich zu vollbringen
So öffnet denn, meine teuersten Kinder, eure Augen und Ohren und gehorcht meinen Geboten.....
Gott hat den Menschen nämlich nicht durch seine Macht sondern durch Mitleiden
befreit, als er seinen Sohn zur Erlösung des Menschen auf die Welt sandte.....
Doch ich sage dir: Wenn Gott gut ist, warum willst du von seiner Güte nichts wissen,
da er doch meinen Sohn für dich dahingab, der dich unter viel Mühe und Not vom Tod
befreit hat? Doch wenn du sagst, daß du keine guten Werke tun kannst, so sagst du
das in boshafter Ungerechtigkeit. Du hast doch Augen zum Sehen und Ohren zum Hören,
ein Herz zum Nachdenken, Hände zum Wirken und Füße zum Gehen, so daß du dich mit
deinem ganzen Körper erheben und niederstrecken, schlafen und wachen, essen und
fasten kannst. So hat dich Gott geschaffen. Daher widerstehe den Begierden deines
Fleisches und Gott wird dir beistehen.....Für dich ist ein Gesetz aufgestellt,
das deiner Kraft angemessen ist.....Der Mensch widerstehe auf diese Weise der Fleischeslust,
damit er nicht in den Vergnügungen dieser Welt aufgeht und auch nicht in solcher Sicherheit
lebt, als würde er im eigenen Hause wohnen, während er doch ein Pilger ist; denn sein
Vater wartet auf ihn, wenn er zu ihm zurückkehren will, da er weiß, wo er wohnt. Deshalb,
o Mensch, wenn du deine Augen auf die zwei Wege, d. h. auf Gutes und Böses richtest,
lernst du Großes und Kleines verstehen. Wie? Im Glauben erkennst du den einen Gott in
Gottheit und Menschheit und du siehst auch im Bösen die Werke des Satans. Und wenn du
so die rechten und unrechten Wege erkennst, dann sage ich zu dir: „Welchen Weg möchtest
du gehen?".....Neige in Demut dein Haupt und schüttle ab, was in deinen Werken böse ist
und wirf es schnell von dir. Das verlangt Gott von dir.
Denn wenn du im Dienst irgendeines Mannes ständest, wie oft müßtest du da etwas tun,
was deinem Leib schwerfällt! Würdest du nicht viele Widerwärtigkeiten um deines
irdischen Lohnes willen auf dich nehmen? Und warum dienst du Gott nicht, der
dir Seele und Leib gegeben hat, wegen des himmlischen Lohnes? Wieviel würdest du
doch arbeiten, wenn du ein vergängliches Ding haben möchtest, um es wenigstens für noch so
kurze Zeit besitzen zu können!.....Jetzt aber empfindest du Widerwillen, das zu
erwerben, was kein Ende kennt....Erstarkt also und gewinnt Kraft, denn ihr habt es nötig.....
Der Gläubige aber erwäge seinen Schmerz und suche einen Arzt auf, bevor er dem Tod
verfällt. Hat er (die Ursache) seines Schmerzes untersucht und einen Arzt gesucht
und gefunden, wird ihm dieser eine bittere Kräuterarznei verschreiben, die ihn
heilen kann; das sind die harten Worte, durch die er geprüft werden soll,
ob seine Buße aus dem Grund seines Herzens oder aus der Unruhe seiner Unbeständigkeit
stammt.....Doch unglücklich sind jene, die den Teufel verehren und Gott leugnen.
Wieso? Sie verehren nicht den einen Gott in der Dreifaltigkeit und wollen nichts
von Dreiheit in der Einheit wissen. Wer also gerettet werden will, zweifle nicht
am rechten katholischen Glauben. Was bedeutet das?
31. Vom katholischen Glauben
Denn wer den Sohn leugnet, verehrt den Vater nicht, noch liebt jemand den Sohn, der
den Vater nicht kennt; und wer den Heiligen Geist verwirft, besitzt weder Vater noch
Sohn. Wer Vater und Sohn nicht ehrt, empfängt auch nicht den Heiligen Geist. Also muß
man die Einheit in der Dreifaltigkeit und die Dreifaltigkeit in der Einheit sehen.
O Mensch, kannst du etwa ohne Herz und Blut lebendig sein? So kann man auch nicht
an den Vater ohne Sohn und Heiligen Geist, noch an den Sohn ohne Vater und Heiligen
Geist, oder an den Heiligen Geist ohne sie beide glauben. Doch der Vater sandte seinen
Sohn zur Erlösung des Menschen in die Welt und holte ihn wieder zu sich zurück; so
entläßt auch der Mensch die Gedanken seines Herzens und sammelt sie wieder bei sich.
Deshalb redet Isaias nach dem Willen der himmlischen Majestät über die heilbringende
Aussendung des Eingeborenen Gottes und spricht:
32. Worte Isaias
.....sie (die Propheten) verkündeten nämlich getreulich, daß
der Sohn Gottes zum Heil der Menschen in die Welt kommen werde, damit die Menschen,
von ihnen vorbereitet und gerüstet, den Teufel irreführen und seine listigen Täuschungen
klug meiden könnten. Und so traf das Wort Israel, als der Eingeborene Gottes in die
erhabene Keimkraft der Jungfrau einging, in die kein Mann seinen Fuß
gesetzt hat; sie hat seine Blüte unversehrt erhalten, damit der aus der Jungfrau
Geborene jene auf den rechten Weg zurückführe, die das Licht der Wahrheit
aus täuschender Blindheit nicht fanden, um sie dem unvergänglichen Heil zurückzuschenken.....
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5. Vision, I. Teil
Die Synagoge
1. Über die Synagoge, die Mutter des menschgewordenen Gottessohnes
.....Sie sieht die Geheimnisse Gottes von der Geburt ihrer ersten Kinder bis zu ihrer
Kraftentfaltung schattenhaft voraus, doch sie enthüllt sie nicht vollständig;
sie ist ja nicht das Morgenrot, das deutlich spricht, sondern sie erblickt es voll
Bewunderung von ferne; und so spricht sie von ihm im Hohenlied:
2. Worte Salomos
.....
3. Worte des Propheten Isaias
„Wer sind diese, die wie Wolken dahinfliegen, wie Tauben zu ihren Mauerhöhlen" (Is. 60,8)?
.....Sie sind es nämlich, die aus himmlischer Liebe irdische Reiche mit Füßen treten
und himmlische suchen. Dies bewunderte die Synagoge an der Kirche, weil sie erkannte,
daß sie selbst nicht von solchen Tugendkräften beschützt wird, wie sie sie an jener
wahrnimmt; denn die Kirche ist von Engelschutz umgeben, damit sie der Teufel nicht
zerreiße und zu Boden werfe, während die Synagoge gottverlassen in ihren Lastern
darniederliegt.
4. Von den verschiedenen Farben der Synagoge
Deshalb siehst du auch, daß sie von der Leibesmitte bis zu den Füßen schwarz ist;
das bedeutet, daß sie sich vom Zeitpunkt ihrer kraftvollen Ausbreitung bis zum Vollmaß
ihrer Ausdehnung durch Gesetzesübertretung und Untreue gegenüber dem Bund der Väter
befleckt hat, weil sie auf vielfache Weise die göttlichen Gebote vernachlässigte und
der Lust des Fleisches folgte. Und mit blutroten Füßen; und eine leuchtend reine Wolke
umgibt ihre Füße; denn zur Zeit ihrer Vollendung tötete sie den Propheten der Propheten
und kam dadurch selbst zu Fall; gleichzeitig aber erstand in den Herzen der Gläubigen
der helleuchtende durchdringende Glaube. Denn das Ende der Synagoge war der Beginn
der Kirche, als sich die Lehre der Apostel nach dem Tod des Gottessohnes über den
ganzen Erdkreis verbreitete.
5. Von ihrer Blindheit und was Abraham in ihrem Herzen, Moses in ihrer Brust und
die übrigen Propheten in ihrem Schoß bedeuten
Doch diese Erscheinung besitzt keine Augen, ihre Hände aber hält sie in den
Achselhöhlen:
Die Synagoge blickte nicht in das wahre Licht, weil sie den Eingeborenen Gottes mit
Verachtung anschaute: darum bedeckt sie die Werke der Gerechtigkeit mit dem Überdruß
ihrer Trägheit und schüttelt ihre Betäubung nicht ab, sondern sie verbirgt sie
gleichgültig, als ob sie gar nicht vorhanden wären. Sie steht neben dem Altar vor
den Augen Gottes, berührt ihn aber nicht; denn sie kennt zwar äußerlich das Gesetz
Gottes, das sie nach göttlichem Geheiß und unter den Augen Gottes empfing, aber sie
berührt es nicht innerlich, weil sie mehr davor zurückschreckt, als daß sie es
liebt, und es versäumt, Gott Opfer und den Weihrauch ergebenen Gebets darzubieten.
Und in ihrem Herzen trägt sie Abraham: Denn er setzte in der Synagoge den Anfang der
Beschneidung. Und in ihrer Brust Moses: Er senkte nämlich das göttliche Gesetz in das
Herz der Menschen. Und in ihrem Schoß die übrigen Propheten; d. h. diejenigen, die in
der ihr von Gott übergebenen Einrichtung die Aufsicht über die (Einhaltung der)
göttlichen Gebote haben. Alle zeigen ihr Symbol und bewundern die Schönheit der Kirche,
denn sie zeigten in wunderbaren Zeichen die Wunder ihres Prophetendienstes und nahmen
in großer Bewunderung die Schönheit der edlen neuen Braut wahr.
6. Von ihrer turmartigen Gestalt und ihrem dem Morgenrot gleichenden Stirnreif
.....Denn sie wurde gleichsam am frühen Morgen gekrönt, als sie die göttlichen Gebote
empfing; sie steht für Adam, der zuerst einen Befehl Gottes entgegennahm, doch dann
durch seine Übertretung dem Tode verfiel. So handelten auch die Juden, die anfänglich das
göttliche Gesetz annahmen, dann aber in ihrem Unglauben den Sohn Gottes verwarfen.
Wie aber der Mensch durch den Tod des Eingeborenen Gottes gegen Ende der Zeiten dem
Verderben des Todes entrissen wurde, so wird auch die Synagoge vor dem Jüngsten Tag
— von der göttlichen Güte angetrieben - ihren Unglauben aufgeben und wirklich
zur Erkenntnis Gottes gelangen.....Was bedeutet das? Erhebt sich nicht die Morgenröte
vor der Sonne? Doch das Morgenrot vergeht und es bleibt der Sonnenschein. Was heißt
das? Das Alte Testament tritt zurück und die Wahrheit des Evangeliums verbleibt:
Denn was die Menschen des Alten Bundes in den Gesetzesvorschriften fleischlich
beobachteten, das vollzieht das neue Volk im Neuen Bund auf geistige Weise; denn
was jene im Fleische andeuteten, erfüllten diese im Geiste. Die Beschneidung ging
nämlich nicht verloren, weil sie auf die Taufe übertragen wurde.....Die alten Gebote
gingen deshalb nicht verloren, weil sie auf eine höhere Stufe erhoben wurden, wie sich
auch in der Endzeit die Synagoge der Kirche gläubig zuwenden wird.....
7. Worte Ezechiels
„Ich breitete meinen Mantel über dich und bedeckte deine Schande und ich schwor dir
und ging einen Bund mit dir ein" (Ez 16,8). Das heißt: Ich, der Sohn des Allerhöchsten,
breitete nach dem Willen meines Vaters meine Menschwerdung über dich, Synagoge, aus;
das geschah um deines Heiles willen, zur Tilgung deiner Sünden, die du in vielen
Unterlassungen begangen hast; und ich sicherte dir das Heilmittel der Erlösung zu,
indem ich dir die Wege meines Bundes zu deinem Heil kundtat; durch die Lehre der
Apostel eröffnete ich dir den Zugang zum wahren Glauben, damit du meine Gebote
be(ob)achtetest, wie die Frau der Gewalt ihres Mannes unterworfen sein muß. Denn ich
nahm die Härte des äußeren Gesetzes von dir und gab dir die Süßigkeit der geistlichen
Lehre (zu kosten), und alle meine Geheimnisse tat ich selbst dir in den geistlichen
Unterweisungen kund. Doch du hast mich, den Gerechten, verlassen und dich dem Teufel
angeschlossen.
8. Vergleich mit Samson, Saul und David
Doch du, o Mensch, bedenke, wie Samson von seiner Gattin im Stich gelassen wurde, so daß
er seines Augenlichtes beraubt wurde; so verließ auch die Synagoge den Sohn Gottes, als
sie ihn in ihrer Verhärtung verachtete und seine Lehre verwarf. Als aber dann seine
Haare wieder gewachsen waren, d. h. als die Kirche Gottes erstarkte, verstieß der Sohn
Gottes in seiner Kraft die Synagoge und enterbte ihre Kinder, und sie wurden auch durch
die Heiden, die Gott nicht kennen, im Eifer Gottes zerschmettert. Sie hatte sich nämlich
vielen verwirrenden und trennenden Irrtümern unterworfen und sich mit den Übertretungen
jeglicher Bosheit befleckt. Doch wie auch David seine Gattin, mit der er sich zuerst
vermählt hatte und die sich mit einem andern Mann eingelassen hatte, zurückrief, so
auch der Gottessohn die Synagoge, mit der er sich in seiner Menschwerdung verbunden
hatte, die aber — der Taufgnade untreu — dem Teufel gefolgt war. Er wird sie am Ende
der Zeiten wieder aufnehmen; dann wird sie die Irrtümer ihres Unglaubens aufgeben und
zum Licht der Wahrheit zurückkehren. Denn der Teufel hatte die Synagoge in ihrer Blindheit
an sich gerissen und sie in vielen Irrtümern dem Unglauben überantwortet; und er wird
damit fortfahren, bis der Sohn des Verderbens erscheint. Wenn dieser im Hochmut seines
Stolzes den Tod gefunden hat, wie Saul, der David aus seinem Land vertrieben hatte,
auf dem Berg Gelboe getötet wurde und starb, wird auch der Sohn der Bosheit meinen
Sohn in seinen Auserwählten zu beseitigen suchen. Wenn der Antichrist aber gestürzt ist,
wird mein Sohn die Synagoge zum wahren Glauben zurückrufen, wie auch David seine erste
Gattin nach dem Tod Sauls wieder aufnahm. Sehen die Menschen in der Endzeit den besiegt,
der sie verführt hatte, werden sie eilig auf den Weg des Heils zurücklaufen.
Es ziemte
sich nämlich nicht, daß die Wahrheit des Evangeliums den Schatten des Gesetzes ankündigte,
denn das Fleischliche mußte vorangehen und das Geistliche folgen; denn auch der Knecht
verkündet, daß sein Herr kommen werde, und der Herr eilt nicht dienstfertig dem Knecht
voraus. So ging auch die Synagoge als Schattenbild voraus und die Kirche folgte im Licht
der Wahrheit.
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6. Vision, I. Teil
Die Chöre der Engel
.....im zweiten Chor zeigten sie sich von solcher Herrlichkeit, daß ich sie
nicht anzuschauen vermochte.....
1) Daß Gott seine Schöpfung wunderbar begründet und eingerichtet hat
Der allmächtige und unaussprechliche Gott, der vor aller Zeit war, doch ohne Anfang ist
und am Ende der Zeiten nicht aufhören wird zu sein, hat jedes Geschöpf wunderbar nach
seinem Willen geschaffen und wunderbar nach seinem Willen ausgestattet. Wie? Er bestimmte,
daß die einen der Erde verhaftet sind, die ändern aber dem Himmel angehören. Er berief
die seligen himmlischen Geister sowohl zum Heil der Menschen als auch zur Ehre seines
Namens. Wieso? Er bestimmte nämlich die einen dazu, den Menschen in ihren Nöten zu Hilfe
zu kommen, die anderen aber, den Menschen seine geheimen Urteile kundzutun.
Die zwei Scharen deuten an, daß Leib und Seele des Menschen Gott dienen
sollen, bei dem ihnen mit allen Himmelsbürgern das Licht der ewigen Seligkeit leuchtet.
2. Vom Aussehen der Engel und dessen Bedeutung
.....Und so offenbaren sie durch ihre Gesichter, in denen Gott auch die Werke der
Menschen genau erkennt, an sich die Schönheit der Vernunft. Denn wie ein Knecht die
Worte seines Herrn vernimmt und sie nach seinem Willen in die Tat umsetzt, so achten
sie auf den Willen Gottes bei den Menschen und spiegeln für ihn ihre Werke wider.
3. Vom Aussehen der Erzengel und dessen Bedeutung
.....denn in Erkenntnis der geheimen Ratschlüsse Gottes kündigten sie oft die Geheimnisse
der Menschwerdung des Gottessohnes mit ihren Zeichen an.....Denn in den Engeln und
Erzengeln sind viele verborgene Geheimnisse, die der menschliche Verstand unter dem
Gewicht des sterblichen Leibes nicht begreifen kann. Daß aber diese Chöre fünf
weitere wie ein Kranz umgeben, bedeutet: Die fünf Sinne umfassen Leib und Seele
des Menschen mit ihrer gewaltigen Stärke. Sie sollen — durch die fünf Wunden meines
Sohnes gereinigt — geradewegs zum inneren Sinn der Gebote führen.
4. Vom Aussehen der Tugendkräfte und dessen Bedeutung
.....Es sind die Tugendkräfte, die sich im Herzen der Gläubigen erheben und in glühender
Liebe einen hohen Turm — das sind ihre Werke — in ihnen errichten. In ihrer Vernunft
spiegeln sie nämlich die Werke der erwählten Menschen und in ihrer Stärke bringen sie
im hellen Glanz der Seligkeit diese zu einem guten Ende.....Denn die Menschen tragen in
ihrem Innern Kämpfe zwischen Bekenntnis und Verleugnung aus. Wie denn? Der eine bekennt
mich, der andere verleugnet mich. Und es geht in diesem Kampf um die Frage: Gibt es
einen Gott oder nicht? Dann ertönt auf diese Frage im Menschen die Antwort des Heiligen
Geistes: Es gibt einen Gott, der dich erschaffen hat; aber er hat dich auch erlöst.
.....Die Tugenden bringen aber diese kämpferischen Auseinandersetzungen Gott dar,
denn sie sind in Gottes Augen der Beweis, an dem sich zeigt, mit welcher
Absicht Gott verehrt oder verleugnet wird.
5. Vom Aussehen der Mächte und dessen Bedeutung
Im zweiten Chor zeigen sie sich von solcher Herrlichkeit, daß du sie nicht anzuschauen
vermagst. Es sind die Mächte; sie deuten an, daß die Ohnmacht sterblicher Sünder die
Ruhe und Schönheit der Macht Gottes nicht angreifen noch sich mit ihr messen kann,
weil Gottes Macht unvergänglich ist.
6. Vom Aussehen der Fürstentümer und dessen Bedeutung
Im dritten Chor erscheinen sie wie weißer Marmor, haben menschliche Häupter über
denen sich brennende Fackeln zeigen und sind von der Schulter abwärts von einer
eisenfarbenen Wolke umgeben. Es sind die Fürstentümer und sie stellen dar, daß die,
welche in der Welt von Gott zu Fürsten über die Menschen bestellt sind,
die echte Stärke der Gerechtigkeit anlegen sollen, damit sie nicht dem
Wechsel der Unbeständigkeit verfallen, sondern auf ihr Haupt Christus, den Sohn Gottes,
schauen und ihre Regierung nach seinem Willen und dem Bedürfnis der Menschen ausrichten.
In glühendem Verlangen nach Wahrheit sollen sie ihre Aufmerksamkeit der über ihnen
waltenden Gnade des Heiligen Geistes zuwenden, so daß sie bis zu ihrem Ende fest
und beständig in der Stärke der Gerechtigkeit verharren.
7. Vom Aussehen der Herrschaften und dessen Bedeutung
.....sie zeigen an, daß Er, der alles beherrscht, die menschliche Vernunft, die vom
irdischen Staub beschmutzt darniedergelegen hatte, vom Boden zum Himmel erhob,
als er seinen Sohn auf die Erde sandte, der in seiner Aufrichtigkeit den alten Verführer
niedertrat; so mögen die Gläubigen ihn, ihr Haupt, getreulich nachahmen, ihre Hoffnung
auf das Himmlische setzen und sich in großem Verlangen nach guten Werken festigen.
8. Vom Aussehen der Throne und dessen Bedeutung
.....Doch du kannst nicht mehr von ihrer Gestalt erkennen, denn es gibt viele verborgene
Geheimnisse, die die menschliche Begrenztheit nicht zu erfassen vermag.....
Die Gläubigen, welche im Wissen darum, daß sie durch die fünf Wunden des Gottessohnes
erlöst wurden, die fünf Sinne ihres Leibes auf das Himmlische richten, gelangen mit aller
Anstrengung und Besinnung zur Gottes- und Nächstenliebe, wenn sie die
sinnliche Lust ihres Herzens geringachten und ihre Hoffnung auf das innere Leben
richten.
9. Vom Aussehen der Cherubim und dessen Bedeutung
.....So sehen sie durch sie in ihrer tiefen Einsicht mit reinem, durchdringendem Blick
bereits jene Menschen wunderbar voraus, die den wahren Gott erkennen.....
10. Vom Aussehen der Seraphim und dessen Bedeutung
.....Daß du aber nicht mehr von ihrer Gestalt erkennen kannst, bedeutet, daß es viele
Geheimnisse in den seligen Geistern gibt, die dem Menschen nicht kundgetan werden sollen,
denn solange er der Sterblichkeit unterliegt, wird er die ewigen Dinge nicht vollkommen
erkennen können.
11. Daß alle diese Chöre mit wunderbaren Klängen die Wunder verkünden, die
Gott in den Seelen der Seligen wirkt
.....Denn die seligen Geister verkünden mit Gottes Kraft in großer Freude mit unsagbarem
Jubelklang im Himmel durch ihre Wundertaten, was Gott in seinen Heiligen tut.....
12. Der Psalmist darüber
.....Oft zeigt der Mensch unangebrachtes Frohlocken, wenn er eine Sünde vollbracht hat,
nach der es ihn unziemlicherweise gelüstete. Doch es erwächst ihm kein Heil daraus,
weil er etwas tat, was dem göttlichen Gebot zuwiderläuft. Einen Freudentanz aus
Seligkeit über das wahre Heil jedoch wird jener aufführen, der das Gute, nach dem
er glühend verlangte, eifrig vollbringt und, solange er in diesem Leibe lebt, die Wohnung
derer liebt, die den Weg der Wahrheit liefen und den Irrtum der Lüge mieden.....
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Ende des ersten Teils von "Scivias"
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