Kindheit
Wer aber waren die Eltern des Mägdleins? Jakob d'Arc ist ein
angesehener Landmann
des Ortes und seine Frau Isabella, mit dem Zunamen Romée, paart tiefe Frömmigkeit
mit großer Energie. Drei Söhne nennen sie ihr eigen: Jacquemin, Johann und Peter.
(Ihre Familie erweitert sich später durch eine zweite Tochter, Katharina.) Allen
Kindern wird von den rechtschaffenen Eltern eine vorzügliche christliche Erziehung
zuteil. Nach der Sitte des Landes hat das neugeborene Mägdlein eine Reihe Taufpaten
und Taufpatinnen, wovon die meisten den Namen Johann und Johanna tragen. So wird ihr
der Name Jeanne (Johanna) gegeben. Ist's ein Symbol? –
Jeannette bleibt ihr Rufname im Elternhaus. Sie wächst heran
wie andere Kinder.
Alle gewinnen sie lieb wegen ihres sanften, freundlichen, allzeit hilfsbereiten Wesens
und erbauen sich an ihrer Andacht. Eifrig besucht das Kind das heilige Meßopfer, geht
oft zur heiligen Beichte und seit dem schönen Tage der ersten heiligen Kommunion naht
sie sich öfters dem Tische des Herrn. Wenn immer es ihre Arbeiten erlauben, eilt sie
fort zum nahen Gotteshaus. Da kniet sie denn vor dem Bild des Gekreuzigten oder liegt
in Anbetung auf den Fließen. Mit Munterkeit verrichtet Jeannette die Arbeiten in Haus
und Feld. Ihre Mutter lehrt sie Hanf und Flachs spinnen; ihrem Vater führt sie das
Gespann des Pfluges und hilft beim Einfahren der Ernte. Der Gemeinde hütet sie, ist
die Reihe an ihr, getreulich die Schafe. Für die Armen hat sie ein mitleidiges Herz.
Kranke pflegt sie in Liebe und Geduld. Sie ergötzt sich wie die anderen Mädchen ihres
Alters beim kindlichen Spiel; ihre liebsten Gefährtinnen sind Mengette und Hauviette.
Mit ihnen teilt sie Arbeit und Freude. Wie die anderen nimmt sie am schönsten Dorffeste
auf Mittfasten teil. Dann zieht die Jugend, groß und klein, hinaus zur alten großen Buche,
dem "Beau May". "L'arbre des Dames", "l'arbre des Fées" oder "logis des Dames" wird er
auch wohl genannt, obwohl sich die Jugend der alten Legende vom Zauberbann des Baumes
nimmer entsinnt. Jeannette hat später nur ein mitleidiges Lächeln dafür, als man sie
fremdenorts danach fragt. Unter Spiel, Tanz und Rundgesang vergehen die fröhlichen
Stunden. Man windet Girlanden und wandert zum Schlusse zu einem Quell, - "faire ses
fontaines" heißt die Sitte -, und läßt sich zum stärkenden Abendimbiß nieder. Auch
die Adligen von Bourlémont schätzen das wunderschöne Fleckchen Erde und halten Lätare
ihr Hauptfest dort; dann bringen die jungen Mädchen von Domremy Brot, Wein und Eier
dorthin, und gemeinsam erfreut man sich bei frohem Zeitvertreib. Der "Beau May" hat
jedoch noch eine andere Bestimmung: bei der dritten Bittprozession wird unter seinen
Zweigen das Johannisevangelium verlesen.
Jeannes Lieblingswege aber führen zu einem Heiligtume. So
schließt sie sich öfters Samstags mit ihrem Schwesterchen dem Bittgang frommer Frauen
an zur Kapelle Unserer Lieben Frau von Bermont. Blumen der Au und Kerzen vom Wachse
der fleißigen Bienen bringen sie zum Opfer dar unter innigem Flehen zu Gott. Denn
schwer ist das Leid des Landes. Jeannette sieht oft ihre Eltern im ernsten Gespräch
und hört ihre trüben Worte vom Niedergang französischer Waffen, von Raub und Mord,
von der Unsicherheit der nächsten Wege, ach, und von Geistlichen, die ihre Pflichten
versäumen und mehr auf die Ehre ihres Amtes und ihr eigenes Vorwärtskommen als auf
das arme, verzweifelte Volk sehen, das aller Willkür preisgegeben ist! Sie hört das
Seufzen der Mutter: "Mein Gott, rette Frankreich!" und tiefe Trauer zieht ein in das
Herz des zwölfjährigen Kindes.
Eines Tages - gerade sind die letzten Töne des Angelus verhallt -
hört Jeannette im Garten zweimal ihren Namen rufen: Sie schaut zur Kirche hinüber. Da
umgibt sie plötzlich ein Licht, - und aus dem Lichte heraus strahlen ihr Gestalten
entgegen, und sie erkennt besonders deutlich eine, die edle, sanfte Züge hat. Die
spricht zu ihr mit lieber und doch hoheitsvoller Stimme: "Jeannette, Jeannette, sei
gut und fromm! Liebe Gott, besuche die Kirche!" Angstvoll fällt sie auf die Knie.
Dann aber weicht all das Schreckhafte in ihr einem unaussprechlichen Glücksgefühl.
Es ist ihr, als habe Gott sie in diesem Augenblick ausersehen für sein Werk; als
solle sie jeder irdischen Neigung entsagen. Und wie sie nun so daliegt in seligem
Erstaunen, weiht sie Gott für ewig ihre Jungfräulichkeit. Dann steht sie auf, mutig,
gefaßt. Was alles wohl zu bedeuten hat? Sie denkt darüber nach in der kommenden Zeit,
aber ihr Eifer in Arbeit und Gebet erlahmt nicht. Nur ihrem Beichtvater, Wilhelm Fronte,
vertraut sie das seltene Begebnis an. Der Pfarrer aber gibt ihr den Rat: "Sei gut und
fromm, damit der Geist des Bösen niemals über deine Seele Herrschaft gewinne!" -
Die Erscheinungen wiederholen sich, bis eines Tages der
Anführer der himmlischen Heerschar sich offenbart: "Ich bin Michael, der Beschützer
Frankreichs!" - Das Kind macht eine tiefe Verneigung. "Es ist großer Jammer im
Königreich Frankreich", fährt der Erzengel fort, und dann enthüllt er ihr ein
trostloses Bild vom tiefen Unglück ihres Vaterlandes. Das Kind vergießt reichliche
Tränen... Da kündet ihr der himmlische Geist einen Retter an. Es jubelt ihre Seele
auf, und sie dankt ihm für die Gottesbotschaft und fragt nach dem Namen des Kommenden,
der Frankreich aus aller Not erlösen soll:
zur großen, allgemeinen Themenübersicht "Wunderland bei Nacht"
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